«Nichts Neues unter der Sonne», aber Vielfalt an Interpretationen
Hinterland 03.09.2023 - 17:37
Das Jazz Festival Willisau ging am Sonntag mit dem New Quintett von Dave Douglas zu Ende. Star des Festival war zweifelsohne die Musikerin Meshell Ndegeocello.
Das New Quintett des Trompeters Dave Douglas hat am Sonntag für einen markanten Abschluss des Jazzfestivals Willisau LU gesorgt. Während fünf Tagen bot die 47. Ausgabe ein breites und kontrastreiches Spektrum von Musik, die in weitestem Sinn mit Jazz und Improvisation zusammenhängt.
Mehr Besucher als im Vorjahr
Grossartige Konzerte, ein volles Haus und wunderbares Wetter hätten das diesjährige Festival geprägt, heisst es im Abschlusscommuniqué der Veranstalter vom Sonntag.
Produktionsleiter Marco Sieber sagte auf Anfrage, die Zahl der Zuhörerinnen und Zuhörer sei im Vergleich zum Vorjahr höher ausgefallen. Eine Zahl werde aber nicht genannt, weil es sich um Schätzungen handle.
«Nichts Neues unter der Sonne»
«Ich denke, es gibt nichts Neues unter der Sonne», sagt die amerikanische Musikerin Meshell Ndegeocello. Und das gilt nicht nur für ihren Auftritt, das unbestritten zugkräftigste Konzert des Festivals. Musikalische Erneuerung und Entwicklung kommt nicht ohne den vorgegebenen Stoff aus – an dem, mit dem oder gegen den man sich abarbeitet. Die Überlieferung ist das Rohmaterial, mit dem sich der heutige Künstler auseinandersetzt.
Urs Blöchlinger gewidmet
So war der fulminante Auftakt des Festivals am Mittwoch dem 1995 verstorbenen Jazzmusiker Urs Blöchlinger (Urs Blöchlinger Revisited) gewidmet. Ausgehend von dessen Kompositionen überzeugte das Septett mit einer vitalen und inspirierten Neuinterpretation. Als Glücksfall darf man die Vereinigung von Musikern, die noch mit Urs Blöchlinger gespielt haben, sowie jungen Instrumentalisten, darunter dessen Sohn Lino Blöchlinger, bezeichnen.
«Déjà-entendu»
Wie ein «Déjà-entendu» wirkte das Trio des jungen amerikanischen Saxofonisten Zoh Amba. Der laute, tobende und entfesselte Sound, das Spiel voller Power verwies direkt und schnörkellos auf die Ära des Free Jazz und die Anfänge des Willisauer Festivals in den 1970er Jahren. Dieser Auftritt war einerseits höchst belebend und aufwühlend, anderseits aber auch ein wenig aus der Zeit gefallen.
«How noisy are the rooms?»
Auf eine ganz andere Weise geht das Berliner Trio «How noisy are the rooms?» mit Improvisation um. Gegen Schlagzeug und Turntables (Plattenspieler) setzt die Sängerin Almut Kühne einen exaltierten, skurilen Gesang, zeitweise ein Sprechgesang. Eine höchst vergnügliche Angelegenheit: Dada Version 2020, in jazzigem Idiom.
Who Trio ein Festivalhighlight
Stupende Virtuosität, Spielfreude und anhaltende Intensität legte das Who Trio (Michel Wintsch, Gerry Hemingway, Bänz Oester) hin. In einer traditioneller Combo-Besetzung (Piano, Schlagzeug, Bass) vermittelten die Musiker einen Eindruck davon, wie lustvoll und zeitgemäss sich jazzige Interaktion umsetzen – und dann aber auch wieder dekonstruieren lässt. Ein Highlight des Festivals.
Colin Vallon Trio: Minimal-Music ohne Effektheischerei
Grundlegend anders interpretiert das für die verhinderte schwedische Frauenformation Space eingesprungene Colin Vallon Trio die Jazz-Combo. Es entwickelte aus dem Stand heraus einen verhaltenenen, kompakten Soundblock ohne eigentlichen Anfang und Schluss. Eine Art Minimal-Music ohne Effektheischerei, die aber äusserst differenziert ist und reich an Nuancen, Modulationen und Klangfarben.
Peter Conradin Zumthors «Intimities»
Die hohe Kunst des Schlagzeugspiels und die Klangvielfalt der Schlaginstrumente demonstrierte Peter Conradin Zumthor in der Reihe Intimities (auf der kleinen Rathausbühne): hier die Welt in diesem Augenblick, dort das Schlagzeug. Dazwischen der Improvisator, der die Welt einatmet (inspiriert) und in Klang wandelt. Laut und leise, in wechselnder Intensität, in wechselnder Stärke, in wechselnden Rhythmen. Heiter und gelassen, selbst wenn das Spiel zum Parforceritt wird.
Zwiegespaltener Eindruck beim Quintett Mats-Up
Die dichte Folge von Konzerten eines Festivals macht aber nicht nur Differenzen der musikalischen Auffassung, der Haltung und der Umsetzung hörbar, sie offenbart auch qualitative Unterschiede. Zwangsläufig wirkt nicht jedes Konzert gleich überzeugend. So hinterliess das Quintett Mats-Up mit dem südafrikanischen Zulu-Sänger Mbuso Khoza einen zwiespältigen Eindruck. Die Interaktion zwischen Sänger und Instrumentalisten klappte nicht, es blieb bei einem Nebeneinander.
Star des Festivals: Meshell Ndegeocello
Und damit sind wir bei Meshell Ndegeocello, dem Star des Festivals. Sie ist, zweifellos, eine begnadete Musikern, vielschichtig, engagiert, profiliert, integer und nicht auf einen bestimmten Stil festzulegen. Vor nicht allzu langer Zeit hat sie gesagt, sie spiele einen spirituellen Jazz, den man aber bitte nicht so nennen möge. Vielleicht liegt darin das Problem, im Übertünchen der Botschaft.
In Willisau interpretierte sie relativ konventionelle Songs, gekonnt und souverän, mit spiritueller Botschaft. Daran gibt es nichts auszusetzen. Leider aber überzog ihre Band diese Songs mit einem wenig differenzierten, wattigen, wummernden Sound. Schade.